Lange Zeit habe ich gedacht, dass andere gut zu mir sein werden, wenn (und weil) ich gut zu anderen bin. Es ist sowohl meine beste als auch meine schlimmste Eigenschaft.
Für alle anderen ist es meine beste Eigenschaft, für mich selbst die schlimmste.
Nicht nur, dass andere nicht genauso gut zu mir gewesen sind, wie ich zu ihnen, sie haben mich zu dem noch auf jede mögliche Art und Weise ausgenutzt und enttäuscht.
Ja, wirklich auf alle möglichen Arten!
Denn, wenn es noch eine Art gäbe, auf welche mich und meine guten Absichten für sich ausnutzen könnte, würde er es sicherlich tun und ich hätte immer noch nicht eingesehen, dass ich etwas in meinem Leben ändern muss.
Ich muss zugeben, auf eine bestimmte Art haben andere gewonnen. Jeder hat von mir das, was er wollte, bekommen.
Meine Eltern haben eine wundervolle und gehorsame Tochter bekommen, die nie um etwas bat, schon als ein kleines Kind sich gut benehmen wusste und verlangte nie zu viel. Sie haben eine Tochter, die seit ihrer frühen Kindheit verstanden hat, wann sie etwas fragen darf und wann es besser ist, still zu sein.
Sie hatten ein Kind, das für sein Alter schon erwachsen war und was am schmerzhaftesten ist, meine Eltern haben sich damit gerühmt.
Sie rühmten sich damit, ein reifes Kind zu haben, welches “überhaupt kein Kind” war!
Aus der Sicht meiner Eltern, war das hervorragend. Herzlichen Glückwunsch, ihr habt das, was ihr gewollt habt, bekommen!
Meine Freunde hatten eine perfekte Freundin in mir. Das kann ich jetzt laut sagen, denn jetzt bin ich mir es bewusst geworden.
Sie hatten eine Freundin, die immer jeden getröstet hat, die schon an einer SMS erkennen könnte, dass etwas nicht stimmt, geschweige Traurigkeit und Besorgnis in ihren Augen und am Gesicht ablesen könnte.
Ich hatte immer für jeden ein offenes Ohr, einen Rat parat und ich war für all meine Freunde erreichbar. Ich kann mir nur vorstellen, wie herrlich es ist, solch eine Freundin zu haben, denn offensichtlich bin ich die Einzige in meinem Freundeskreis, die keine solche Freundin hatte.
Meine Rolle war schon immer die “starke Freundin, die immer alles hinkriegen kann” zu sein. Wenn ich mal Aufmerksamkeit oder Unterstützung brauchte, war es von meinen Freunden fast ausgelacht.
“Wer hat Sorgen? Du etwa?“
Das Beste, was meine Freunde mir in solchen Situationen sagen würden, ist: Du schaffst es schon!
“Das kannst du selbst hinkriegen, du brauchst keinen. Du wirst schon eine Lösung finden, ich zweifle daran überhaupt nicht.“
Ja, ich kann es allein schaffen und ich habe es allein geschafft, deshalb ist kein Freundeskreis seit Jahren immer kleiner und kleiner.
Schau dir dieses Paradox an: Je netter ich zu anderen war, desto weniger Menschen hatte ich um mich!
Mein Partner wusste nicht, was für eine wundervolle und weibliche Frau er an seiner Seite hatte und wie ich mich danach gesehnt habe, einen starken Mann zu haben. Ich würde alles dafür geben, um seine Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit genießen zu können, statt ständig genauso wie er stark zu sein.
Ich wünschte, er würde unsere Beziehung führen, aber ohne mich dabei herabzuwürdigen oder kleinzumachen. Aber er wusste nicht, wie er diese Balance erreichen könnte, oder er hat sich überhaupt nicht bemüht.
Nun, all diese Menschen haben auf ihre Art gewonnen, aber trotzdem werde ich den größeren Preis gewinnen. Denn dank all dieser Menschen fange ich jetzt eine neue Phase in meinem Leben an.
Deshalb heißt dieses Kapitel in meinem Leben: “Ich bin dran!” und es wird das wichtigste Kapitel in meinem Leben werden. Ab jetzt werde ich all die Energie und meine Stärke, die ich habe und der alle anderen bewusster als ich waren, für mich selbst investieren.
Ich war die Einzige, die dachte, ich sei schwach, und erst jetzt sehe ich, dass ich eigentlich die Einzige, die stark ist, bin.
Wie kann ich weiterhin glauben, dass meine Mitmenschen gute Absichten haben und dass sie wirklich meine Freunde sind, wenn alle von mir und meiner positiven Energie, Verständnis und Liebe profitiert haben, ohne dass mich je jemand unterstützt hat?
Jeder kannte mein Potenzial, nutze er aber trotzdem nur für sich aus! Niemand dachte an mich, mein Leben und meine Gefühle.
Es fiel mir schwer, diese Tatsache zu akzeptieren, aber es würde nur noch schlimmer für mich werden, wenn ich die Wahrheit nicht akzeptiert hätte – ich war niemandes Priorität!
Niemand hat sich meinetwegen einen Schritt zurückgezogen. Niemand hat sich Mühe gegeben, eine einzige Pflicht für mich aufzuschieben, mich nach der Trennung anzurufen, um zu checken, wie es mir geht, oder um nachzufragen, wieso ich Tage lang nicht in Stimmung bin.
Es ist nie jemandem aufgefallen, dass ich mich zurückgezogen habe, weil mich etwas kümmert, beunruhigt oder stört – nein, ich habe deswegen noch Vorwürfe bekommen, dass ich ein Miesepeter bin!
Wie kann ich weiterhin in Beziehungen mit diesen Menschen investieren, wenn ich jetzt klar und deutlich sehe, dass sie sich nicht um mich gekümmert haben? Und nicht nur das: selbst, wenn ich den Mut gehabt habe und offen über meine Gefühle gesprochen habe, hat das niemand so anerkannt.
Also, wie und warum sollte ich immer noch auf diese Menschen zählen?
Bisher wusste ich nicht anders und habe lange nicht gemerkt, in was für einer toxischen Umgebung ich mich befand, aber jetzt, wenn ich es weiß, gibt es keine Chance mehr, dass ich zulassen werde, dass mich andere so behandeln. Ich werde solches Verhalten nie mehr tolerieren, auch wenn das bedeuten würde, dass ich allein sein muss.
Ich weiß, dass ich jetzt allein sein werde, aber wenn ich darüber etwas genauer nachdenke, was ich auch bis jetzt immer allein. Ich war von Menschen umgeben, aber trotzdem allein – das ist mit Sicherheit eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, die man im Leben haben kann.
Nun, auch das habe ich überlebt. Jeder, der mir keine Liebe gezeigt hat, hat mir gezeigt, wie ich sie endlich finden werde – indem ich anfange, mich selbst zu lieben.
Ich bin doch die Einzige, die bisher noch nie die Chance hatte, meine eigene Liebe zu spüren. Ich habe diese Liebe nur mir selbst verweigert.
Die ganze Zeit habe ich doch überall nach Liebe und Aufmerksamkeit gesucht. Wie lustig! Ich, die Person, die alle um sich mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttet hat, war die einzige Person, die keine Liebe bekommen hat.
Aber jetzt bin ich bereit, mir allein alles zu geben, was mir bis jetzt fehlte. Ab jetzt verlange und erwarte ich nichts von anderen. Ich habe mein Ziel, meine Liebe zu mir selbst und meine eigene Stärke und niemand wird mich jemals wieder brechen. Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, den ich je wieder vor mir selbst setzen werde.
Ich bin mir bewusst, dass es überhaupt nicht narzisstisch oder egoistisch ist, sich selbst zu lieben und zu respektieren und jetzt werden dasselbe auch meine Mitmenschen lernen.
Zuerst tat es mir leid, aber jetzt ist es nicht mehr so. Warum sollte es auch? Wer hat sich Sorgen um mich gemacht? Niemand!
Deshalb bin ich jetzt an der Reihe. Ich bin die Erste in der Reihe. Eigentlich bin ich die Einzige in meiner Reihe.
Nun folgt ein neues Kapitel in meinem Leben, das “Jetzt bin ich dran” heißen wird und in allen meinen Lebensbereichen Änderungen bringen wird.
Ich habe keine Angst davor, den Kontakt zu toxischen Familienmitgliedern abzubrechen und auch keine Angst davon, ungesunde Beziehungen zu anderen Menschen nicht mehr zu pflegen.
Ich werde mich nicht einmal in eine romantische Beziehung mit einem unreifen Mann einlassen, geschweige meine Kriterien je wieder aufgeben. Es besteht keine Chance, dass ich meine Kriterien für jemanden niederlasse.
Trotz allem ist mein Herz nicht zu einem Stein geworden und das wird es nie sein, weil ich den Hass anderer Menschen nicht auf mich genommen habe, egal wie oft ich den Schmerz und die Probleme anderer Menschen gespürt habe.
Ich werde weiterhin Verständnis für meine Mitmenschen, aber auch für mich, haben. Das wird die wichtigste Änderung sein, die alle um mich überraschen wird, aber genau diese Änderung brauche ich am meisten.
Dies ist ein Wendepunkt in meinem Leben. Ein Übergang aus einer Lebensphase zur anderen. Ein Ende und ein Anfang. Diese Periode ist nie einfach, aber deshalb bringt sie immer Wachstum, Entwicklung und Freude ins Leben rein.
Es wird mir Freiheit bringen und ich werde endlich das bekommen, worauf ich die ganze Zeit gewartet habe – die Chance, ich selbst zu sein! Sodass ich vor niemandem zögern muss, dass ich nicht immer stark und vernünftig sein muss und immer für andere da sein muss.
Von nun an werde auch ich verlangen, dass sich andere mir anpassen, sich einen Schritt für mich zurückziehen oder mal abwarten, bis meine Bedürfnisse befriedigt sind.
Darüber hinaus erwartet mich noch eine wunderbare Tatsache: Ich werde andere Menschen treffen. Menschen, die mir mehr ähneln, als meine bisherigen Mitmenschen und die mich deswegen sicherlich besser verstehen werden.
Dann werde ich nicht mehr meine Maske tragen müssen, sondern ich werde die Gelegenheit bekommen, ich selbst zu sein und das anziehen kann, was ich ausstrahle.
Die “kleine” Änderung ist ein Auslöser für unzählige Änderungen in meinem Leben und nichts wird je wieder so sein, wie es war. Ich weiß das und ich werde daran auch arbeiten!